WENN DIE SCHNAUZE KÜRZER WIRD …
Er
ist
ein
Vertreter
der
Kleinbären.
Diese
zählen
mit
Schleichkatzen
und
Marderartigen
stammesgeschichtlich
zu
den
ältesten
Landraubtieren.
Heimisch
ist
er
in
Nordamerika,
der
Waschbär,
Procyon
lotor
,
von
Kanada
bis
Panama.
In
Europa
ist
er
erst
aus
Profitgründen
vor
90
Jahren
angekommen,
als
er
1934
für
die
Pelztierzucht
nach
Deutschland
eingeführt
wurde.
Natürlich
sind
laufend
Waschbären
aus
diesen
Betrieben
entkommen,
mit
Folgen:
Der
Waschbär
hat
sich
durch
ein
rasches
Wachstum
der
Population
und
die
expansive
Arealausweitung
seit
den
50er
Jahren
schnell
über
Deutschland,
die
Niederlande,
in
Luxemburg
und
Nordfrankreich
ausgebreitet.
Weiters
in
Dänemark.
Und
in
Polen,
Tschechien,
Ungarn
und
in
der
Slowakei.
Der
erste
Nachweis
in
Österreich
stammt aus 1974, nicht unweit der deutschen Grenze.
Was
aber
kann
man
über
diesen
Neozoon
noch
sagen?
Erfolgreich
ist
er
jedenfalls,
sonst
hätte
er
sich
nicht
in
re-
lativ
kurzer
Zeit
über
halb
Europa
ausgebreitet.
Er
ist
überwiegend
nachtaktiv,
sein
bevorzugter
Lebensraum
sind
Altholzbestände
in
Gewässernähe.
Die
Anpassungsfähigkeit
des
Waschbären
ermöglicht
ihm
die
Nutzung
von
ländlichen
und
städtischen
Gebieten.
Fuchs-
und
Dachsbaue
bieten
Schutz
im
Winter.
Sie
sind
Allesfresser.
Das
Nahrungsspektrum
reicht
von
Kleinsäugern
und
Kleinvögeln,
Schnecken,
Würmern
und
Insektenlarven
bis
zu
Feldfrüchten,
Obst
und
Beeren.
Das
Eindringen
in
Hühnerställe
und
die
Nutzung
von
Abfällen
sind
auch
aus
Mitteleuropa bekannt.
An
diesem
Punkt
setzt
auch
die
neueste
Forschung
der
österreichischen
Zoologin
Raffaela
Lesch
PhD,
Assistant
Professor
am
Department
of
Biology
der
University
of
Arkansas,
an.
Weil
viele
Waschbären
in
engem
Kontakt
mit
Menschen
in
Ballungsräumen
leben,
haben
diese
Tiere
im
Vergleich
zu
ihren
Artgenossen
am
Land
eine
kürzere
Schnauze
-
das
ist
ein
Zeichen
der
Domestikation,
Haustierwerdung.
Die
Studie
der
Biologin
ist
im
Fachjournal
"Frontiers in Zoology" erschienen.
Es
ist
ein
unglaublich
interessantes
Thema
für
den
MÜRZPANTHER,
der
ein
Interview
mit
Raffaela
Lesch
geführt
hat.
In
der
soeben
erschienen
Studie
wird
der
Waschbär
als
„Säugetiermodellsystem“
genutzt,
um
zu
testen,
ob
der
nahe
Lebensraum
zur
menschlichen
Umgebungen
ein
Merkmal
des
Domestikationssyndroms
auslöst.
Die
erhoben-
en
Daten
deuten
darauf
hin,
dass
städtische
Umgebung
zu
einer
Verkürzung
der
Schnauzenlänge
führt,
überein-
stimmend
mit
dem
Phänotyp
des
„Domestikationssyndroms“.
Dieses
zeichnet
sich
durch
anatomische
und
mor-
phologische
Veränderungen
wie
Ringelschwänze,
Schlappohren,
Depigmentierung,
kleinere
Gehirne
und
reduzierte
Gesichtsskelette aus und zählen zu den auffälligsten Merkmalen.
Bei
den
Wölfen
änderte
sich
vor
35
000
Jahren
auch
das
Aussehen:
Ihre
Schnauzen
wurden
kürzer,
sie
haben
oft
Schlappohren und geschecktes Fell. Die Wölfe wurden zu Hunden.
dMP:
Über
welchen
Zeitraum
entwickeln
sich
bei
Waschbären
die
phänologischen
Veränderungen?
Geht
es
dabei um ein paar Generationen oder Jahrhunderte? Jahrtausende?
Raffaela
Lesch:
Aktuell
ist
es
relativ
schwer
einzuschätzen
welchen
Zeitraum
diese
Veränderungen
genau
in
Anspruch
nehmen.
Es
müssen
jedenfalls
mehrere
Generationen
sein,
aber
die
Schätzung
des
genauen
Zeit-
rahmens
ist
schwierig.
Basierend
auf
das
Wachstum
der
US
Städte
würde
ich
den
aktuellen
Zeitraum
auf
Jahr-
hunderte
bis
Jahrzehnte
schätzen.
Bei
Domestikation
handelt
es
sich
um
einen
Prozess
und
Tiere
wie
Hunde
und
Katzen
sind
ganz
klar
am
Ende
des
Spektrums
nach
Jahrtausenden.
Sollten
die
Waschbären
am
Weg
zur
Domesti-
kation sein, müssten sie noch relativ am Beginn dieses Prozesses sein.
dMP:
Unter
dem
Begriff
„zum
Haustier
werden“
versteht
der
Laie,
dass
man
ein
Tier
bei
sich
zu
Hause
halten
kann.
Auch
Schlangen
gelten
als
Haustiere!
Was
versteht
die
Wissenschaft
unter
diesem
Begriff
genau?
Raffaela
Lesch:
Hier
ist
es
ganz
wichtig
zu
unterscheiden,
dass
wir
häufig
auch
Tiere
als
Haustiere
halten,
die
nicht
den
Domestizierungsprozess
durchlaufen
haben.
Jedes
Wildtier
kann
theoretisch
gefangen,
an
Menschen
gewöhnt,
und
als
Haustier
gehalten
werden.
Diese
Wildtiere
unterscheiden
sich
von
domestizierten
Tieren
darin,
dass
sie
als
Individuum
gelernt
haben
mit
Menschen
zu
leben,
aber
nicht
aus
einer
Population
stammen
die
sich
über
Generationen
an
die
Koexistenz
und
das
Leben
mit
dem
Menschen
angepasst
hat.
Tiere
die
den
Domestikationsprozess
durchlaufen
haben,
zeigen
häufig
visuell
erkennbare
Merkmale
wie
Schlappohren,
weiße
Flecken,
gekringelte
Ruten,
und
kürzere
Schnauzen.
Aber
tatsächlich
verändert
sich
auch
das
Verhalten
der
Tiere.
Domestizierte
Tiere
legen
deutlich
ruhigeres
und
toleranteres
Verhalten
gegenüber
Menschen
an
den
Tag
als
ihre
wilden
Cousins.
Also
zusammenfassend
kann
man
sagen
dass
man
jedes
Wildtier
auf
individueller
Basis
“zähmen”
kann
(das
individuelle
Tier
lernt
dem
Menschen
zu
vertrauen),
aber
die
Zahmheit
einer
domesti-
zierten Population nicht auf Basis individuellen Lernens beruht.
Jedes Wildtier kann theoretisch gefangen, an Menschen gewöhnt, und als Haustier gehalten werden.
Der
Domestizierungsprozess
verschiedener
Arten
beginnt
mit
der
Anpassung
einer
Teilpopulation
an
eine
neue
ökologische
Nische
im
menschlichen
Lebensraum.
Die
Kombination
aus
der
leichten
Verfügbarkeit
von
Abfällen
und
damit
Essensresten,
und
dem
Fehlen
anderer
großer
Raubtiere
macht
den
menschlichen
Lebensraum
zu
einer
Nische
mit
großem
Potenzial.
Um
diese
spezifische
Umgebung
optimal
zu
nutzen,
mussten
sich
Tiere
an
die
Eingriffe
des
Menschen
anpassen:
Vorsicht
und
Umsicht
waren
notwendig,
aber
vor
allem
waren
nur
Tiere
mit
einem
abgeschwächten
Flucht-
oder
Kampf-
Instinkt
erfolgreich.
Dies
macht
die
Anfangsphase
des
Domesti-
zierungsprozesses
zu
einem
Prozess
reiner
natürlicher
Selektion
und
widerlegt,
dass
dies
ein
vom
Menschen
ge-
steuerter, „unnatürlicher“ Prozess künstlicher Selektion ist.
Bei
den
Wölfen
änderte
sich
vor
35
000
Jahren
auch
das
Verhalten:
Die
am
wenigsten
scheuen
Exemplare
streunten
um
menschliche
Siedlungen
und
fraßen
ihre
Abfälle.
Sie
hatten
immer
weniger
Angst
vor
den
Menschen und kamen ihnen immer näher. Die Wölfe wurden zu Hunden.
dMP:
Ist
der
verminderte
Fluchtreflex
Ursache
oder
Ergebnis
der
Anpassung
an
menschliche
Behausungen?
Und bezieht sich der nur auf Menschen oder alle anderen Tiere und Gefahren?
Raffaela
Lesch:
Im
Allgemeinen
ist
die
Koexistenz
mit
Menschen
eine
spannende
Angelegenheit.
Die
Nähe
von
Menschen
bringt
Vorteile
wie
weniger
Beutegreifer
und
mehr
Nahrungsangebot
(Müll),
aber
die
Tiere
die
diese
besondere
Nische
nutzen,
müssen
dem
Menschen
gegenüber
tolerantes
und
nicht
aggressives
Verhalten
zeigen
um
nicht
ein
rasches
Ende
zu
finden.
Zeitgleich
müssen
die
Tiere
auch
mutig
genug
sein
um
diese
Nische
trotz
menschlicher
Präsenz
voll
nützen
zu
können.
Das
ergibt
einen
starken
Selektionsdruck
und
verändert
Populationen über Generationen und lange Zeitfenster.
dMP: Spielen dabei „Lernprozesse“ - also Wiederholungen mit „positiven“ Erfahrungen auch eine Rolle?
Raffaela
Lesch:
Auf
Populationsebene
eher
weniger,
aber
auf
individueller
Basis
ist
die
Lernfähigkeit
auf
jeden
Fall
wichtig.
Die
reduzierte
Stressreaktion
gegenüber
Menschen
in
domestizierten
Tieren
macht
das
Lernen
im
Kontext
“Mensch”
auf
jeden
Fall
einfacher,
da
die
Gegenwart
des
Menschen
nicht
sofort
Fluchtreaktionen
hervorruft.
dMP: Gibt es auch weitere Verhaltensänderungen bei den Waschbären im Umgang mit Menschen?
Raffaela
Lesch:
Wir
forschen
aktuell
am
Verhalten,
können
aber
leider
noch
keine
Ergebnisse
berichten.
Hoffentlich haben wir dazu innerhalb der nächsten 2 Jahre ein spannendes Update!
dMP:
Betrifft
die
Domestizierung
nur
Säuger
–
oder
gibt
es
auch
andere
Beispiele
in
der
Tierwelt,
die
gerade
stattfinden?
Raffaela
Lesch:
Domestizierung
spielt
tatsächlich
auch
eine
Rolle
außerhalb
der
Säuger
und
ist
vor
allem
bei
Vögeln
wie
dem
Japanisches
Mövchen
relativ
gut
erforscht.
Spannenderweise
muss
man
natürlich
auch
sagen
dass
die
Selektionsprozesse,
die
in
der
Domestizierung
wichtig
sind,
nicht
in
einem
Vakuum
existieren,
sondern
auch
von
anderen
Faktoren
beeinflusst
werden
könnten.
Bei
den
Waschbären
haben
wir
beispielsweise
gesehen,
dass
das
Klima
auch
Einfluss
auf
die
Schnauzenlänge
hat.
Es
kann
zum
Beispiel
bei
Tieren
mit
kinetischen
Schädeln
(wie
Vögeln)
gut
möglich
sein,
dass
die
Ernährung
eine
wichtige
Rolle
spielt
und
den
Effekt
der
Domestizierung auf die Anatomie verändert.
dMP: Herzlichen Dank für diesen spannenden Einblick!
Selektionsprozesse können auch von anderen Faktoren beeinflusst werden.
Waschbären können fast alles gut: klettern, schwimmen, aber vor
allem fressen. Am besten schmeckt ein vielfältiges Nahrungsangebot
in der Nähe der Menschen. Dort nennt man es auch Buffet!
Fotocredit: wikipedia
Jeder große Waschbär war irgendwann einmal ein kleiner Waschbär
und musste viel lernen. Durch Beobachten, so wie sie es auch mit den
Menschen machen.
Fotocredit: Jongsun Lee